Grün
Es war dunkel, als sie ihn holten. Die Taschenlampen blendeten ihn, als sie ihn aus dem Bett zerrten, anschrien, Handschellen anlegten ihn schließlich vor sich hertreibend aus der Wohnung brachten. Bevor er richtig begriffen hatte, was mit ihm passierte, hatten sie ihn schon auf die Straße gestoßen ins stechende Blitzlichtgewitter der Fotografen. Ihm schlugen Fragmente von Fragen entgegen, die ihm irgendwelche drittklassigen Reporter aus ihren stinkenden Mündern entgegenwarfen. Er begriff den Sinn ihrer zerstückelten, ja kubistischen Artikulationen nicht. Sie stießen ihn weiter durch die Menge genetischen Mülls, der seinerseits immer noch versuchte, ihn aufzuhalten und an Ort und Stelle mit Blitzlichtern zu erschießen. Er wurde weiter in Richtung der Straße gezogen und schließlich in brutal in einen nach Zigaretten stinkenden grün-weißen Transporter geworfen. Vier fette verschwitzte Kerle packten ihn und drückten ihn in einen vollgefurzten Sitz. Der beißende Schweißgestank nahm ihm für die nächsten Minuten den Atem und trieb ihm Tränen in die Augen. Der Wagen fuhr mit quietschender Kupplung los. Durch seine grausame Müdigkeit wurde jedes Geräusch gräßlich verstärkt von seinem Gehirn empfangen dort in Schmerz umgewandelt.
Sie rasten mit wahnwitziger Geschwindigkeit durch die Stadt auf die Landstraße. Der Wagen wurde im irren Tempo durch einen dunklen Wald gejagt, wobei er sich in jeder Kurve gefährlich nach außen neigte. Mit zunehmendem Abstand zur Stadt kamen ihnen immer seltener Kleinwagen entgegen. Die degenerierten Typen, die aufpaßten, daß er den Wagen nicht vor dem Zielort verließ, belaberten sich gegenseitig über ein längst vergangenes Pokalspiel eines total unbedeutenden Fruchtgummifußballvereins. Der Schweißgeruch stand nach wie vor in der fahrbaren Viehzelle. Er hatte sich inzwischen daran gewöhnt. Nach ungefähr zwanzig Minuten Fahrt mit hoffnungslos überhöhter Geschwindigkeit über eine zunehmend unausgebautere Landstraße lenkte der Fahrer den Transporter auf einen fast unauffällig wirkenden Waldweg. Wäre da nicht die etwas ungeschickt angebrachte Kamera einer schätzungsweise sauteuren Überwachungsanlage gewesen – man hätte den Waldweg fast übersehen können. Nach ein paar hundert holprigen Metern durch fast absolute Finsternis gelangte der Wagen an ein dickes Tor in einer extrem wehrhaften Mauer. Wie auf Kommando wurde das Tor von vier bis an die Zähne bewaffneten und im modischen Grün der Saison gekleideten Gestalten aufgestoßen. Der Wagen fuhr im Schritttempo durch das Tor in den dahinterliegenden Hof ein.
Jetzt ging alles noch etwas schneller: ein paar dickgepanzerte grüne Typen rissen die Tür des Wagens auf und ihn heraus; sie schleppten ihn in eine Ecke des Hofes, verankerten die Handschellen an einem rostigen Ring in der Mauer. Vor ihm hatten sich sechs andere grüngekleidete Herren postiert. „Legt an! Gebt Feuer!“ waren die letzten Worte, die er hörte, den sechsfachen Schußhall registrierte er schon nicht mehr vollständig.
„Der hätte seine Parkgebühren echt bezahlen sollen!“ der vierte Schütze hatte sich zum Fahrer des Transporters umgedreht, „Lief denn alles glatt?“ – „Klar doch: das übliche Gezeter, die Presse und, und, und! Aber was soll’s: in der Parkstraße 12 gibt’s jetzt keine Parksünder mehr!“ Der Schütze sah den Fahrer mit entgleisenden Gesichtszügen an: „Äh … der Parksünder, den wir meinen, wohnt aber in der Nummer 11…“ Der Fahrer schluckte kurz: „Ups!“
MCMXCV