Schnee

„Nein!“ sagte er leise aber bestimmt. Der Schnee da draußen war zwar schon einige Tage alt, aber von seiner Weiße hatte er bisher kaum eingebüßt. Etwas gedankenverloren starrte er aus dem Fenster. Diese Landschaft begann allmählich eine Art Anziehungskraft auf ihn zu entwickeln. Die wenigen Erhebungen waren durch diese totale Kontrastlosigkeit kaum noch auszumachen.

Dennoch erzählte der Schnee eine Geschichte: ohne Anfang oder Ende zwar, aber eben doch eine Geschichte. Er wußte, wer wann wohin gegangen war, wer zu lange im Krug geblieben und dann später vielleicht schwankend durch die sich drehende und verzerrende Gegend gewankt war. Niemand entkam ihm eigentlich. So lange man auch versuchte, sich im Hause versteckt zu halten; nicht vor die Tür, nur nicht raus, egal: ewig konnte man nicht drinnen bleiben. Und dann wurde man auch schon von ihm registriert, archiviert, gespeichert – vielleicht sogar analysiert.

Den Kindern freilich gefiel der Schnee. Schnee – das war Spannung, Spiel, Spaß, Einseifen, Schneebälle, Schneemänner. Sie tollten herum, knobelten aus, wer gegen wen – Schnee im Kragen – Mutter wartete zuhause mit dem Essen, warm und dampfend – frisch aus der Röhre – wo denn das Wasser in den Sachen herkäme, böse Blicke, und doch innerlich grinsend: diese Racker. Abends dann natürlich Ruhe und Besinnlichkeit, Wärme und Behaglichkeit, der Schnee schluckte jeden Laut; es lohnte nicht, Krach zu machen.

Es schüttelte ihn irgendwie – er stand immer noch am Fenster. Ein Auto quälte sich die Glätte der Straße entlang. Und wieder Ruhe. Am Horizont tauchte die sterbende Wintersonne wie zur Mahnung an einen zu unrecht Gestraften den Horizont in blutrot. Der Stahl in seiner Hand: „Nein!“ wiederholte er etwas leiser und „Noch nicht!“

Startseite

© Mirko Bednarič 1996-2004
www.bednaric.net | www.reiermeister.de