Dieser Artikel erschien 2002 in Workout 02

Webradios gerettet?

Nach einer Änderung der Gebühren für Webradios in letzter Minute kehrt die Hoffnung zurück, die Entwicklungshelfer des globalen Dorfes könnten den Schlagabtausch mit der Plattenindustrie doch überleben.

| Mirko Bednaric. Die Recording Industry Association of America (RIAA) hatte sicher nur das Beste für Ihre Mitglieder im Sinn, als sie 1998 den Digital Millenium Copyright Act (DMCA) mit auf den Weg durch den US-Kongreß brachte. Der DMCA stellt in Teilen die Antwort der Plattenindustrie auf das Internet und dem sich dort entwickelnden Umgang mit dem Copyright dar. Die Plattenfirmen standen dem Internet eher ablehnend und konzeptlos gegenüber. Tauschbörsen und Webradios wurden für die sinkenden Umsätze im normalen Verkauf und die eigenen fruchtlosen Onlineexperimente verantwortlich gemacht. Statt eigenes Versagen in diesem Segment zuzugeben, mißachtete man dort die deutlichen Singale des Marktes und schrieb den Kunden vor, wo, wie und gegen welche Gebühr sie Musik hören können.

Das Internet war bisher eine preiswerte Möglichkeit, ein Radioprogramm weltweit zu senden. Reine Netzradios bedienten ein Bedürfnis nach Musik beim Surfen. Da Webradios über eine Streamingtechnologie die Musik zum Hörer bringen, landet im Gegensatz zu den Tauschbörsen keine Datei auf der heimischen Festplatte. Das Programm zur Wiedergabe empfängt den Stream und spielt diesen ab. Eine Speicherung dieser Daten ist im Normalfall nicht möglich. Eine „verlustfreie Übertragung“ oder eine „cd-nahe Qualität“ ist mit dieser Technologie schon aufgrund der Bandbreitenbegrenzung seitens der Sender, die für übertragene Daten Gebühren an ihre Provider zu entrichten haben, nicht möglich.

Preisfragen

Das US Copyright Office legte die Gebühren für die öffentliche Aufführung von Musik im Internet am 20. Juni d. J. wie folgt fest: Kommerzielle Internetradios müßten 0,07 US-Cent pro Song und Zuhörer zahlen, nicht kommerzielle Sender 0,02 US-Cent – und zwar rückwirkend zum Oktober 1998. Speziell die nicht kommerziellen Sender erwischte diese Regelung auf dem falschen Fuß. Für amerikanische Verhältnisse neu war nämlich die Berechnung der Gebühren pro Song und Hörer. Bisher galt für Radiosender ein jährlicher Pauschalbetrag an die ASCAP und die BMI (etwa vergleichbar mit der GEMA), der etwa ein Zwanzigstel der jetzt auflaufenden Gebühren betrug. Normalerweise bezahlten Plattenfirmen, die die Songs ihrer Künstler vermarkten wollen, den kommerziellen Radiosendern Geld und verteilten Geschenke an nicht kommerzielle Sender. Eben das Prinzip „positiver Zwang“. Und genau das sollte sich ändern.

Der Verdacht drängte sich auf, daß hier die Webradios der RIAA nicht ins Konzept paßten und deshalb von der Bildfläche verschwinden sollten. Sollten jetzt die Einwohner des Globalen Dorfes über die Klinge springen, die bisher die Entwicklung des Internet in Richtung Lebensraum so weit voran getrieben haben? Diese Regelung hat bereits dutzenden Radiostationen, die Gebührenbescheide über einige zehntausend Dollar monatlich erhalten hatten, das Leben gekostet – Hunderte weiterer Sender waren akut bedroht. Die Liste der Webseiten, auf denen man von „Killed by the RIAA“ begrüßt wird, drohte lang zu werden.

Offenbar hatte die RIAA kein Interesse an schlechter Presse und an insolventen Lizenzzahlern. Eilig anberaumte Gespräche zwischen der RIAA und den Netzradios brachten buchstäblich in letzter Minute eine Einigung, mit der nun beide Seiten leben können: Online-Radios mit Einnahmen von weniger als 1.250.000 US-Dollar pro Jahr müssen künftig Lizenzgebühren in Höhe von acht bis zwölf Prozent ihres Umsatzes beziehungsweise fünf bis sieben Prozent ihrer Ausgaben zahlen – je nachdem, welcher Betrag höher ist. Sind die Einnahmen des Senders geringer als 50.000 US-Dollar pro Jahr, fallen Lizenzgebühren in Höhe von 2.000 Dollar pro Jahr an. Speziell für viele kleine Netzradios begann also die Woche am 7. Oktober mit einer guten Nachricht. Ob das allerdings noch den Sendern hilft, die schon kapitulieren mußten, bleibt abzuwarten.

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